Wer bei einer der beiden Vorgängerlesungen von Joachim Gauck im Rheingau dabei gewesen ist, wird wissen, was uns erwartet: das Plädoyer eines engagierten Demokraten für gegenseitiges Gespräch und die kämpferische Haltung eines ehemaligen DDR-Bürgerrechtlers gegen jede Form der Radikalisierung. Russland führt Krieg in der Ukraine, und rund um den Zeitraum des Rheingau Literatur Festivals stehen in drei ostdeutschen Bundesländern Wahlen an, bei denen Zuwächse für Parteien an den Rändern des politischen Spektrums erwartet werden. Gauck kennt die Mentalität im Osten genau, und er ist mit seiner Biografie eine Identifikationsfigur für Gesamtdeutschland. Dass er darüber hinaus ein begnadeter Erzähler ist, macht einen Abend mit ihm zum Erlebnis.

Joachim Gauck, geboren 1940 in Rostock, arbeitete dort bis 1989 als Pastor. Er war Mitinitiator des Widerstandes gegen die SED-Diktatur, politisch aktiv als Sprecher des Neuen Forums in Rostock und sodann als Abgeordneter der ersten freien Volkskammer. Von 1990 bis 2000 war er Bundesbeauftragter für die Stasiunterlagen, von 2012 bis 2017 elfter Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland. Er erhielt zahlreiche Ehrungen und Auszeichnungen, u. a. den Hannah-Arendt-Preis, den Geschwister-Scholl-Preis, den Europäischen Menschenrechtspreis und den Ludwig-Börne- Preis. Seine Autobiografie „Winter im Sommer – Frühling im Herbst“ erschien 2009 im Siedler Verlag. 2021 und 2022 war er zu Gast beim Rheingau Literatur Festival.